Die Scheuche Der Hasenvuss

Eine Rede

Die Scheuche und ich haben eine Rede geschrieben und bei einer Veranstaltung gehalten. Hier ist sie:

Tom Robbins schrieb einmal: „Es gibt zwei Arten von Menschen. Die einen, die glauben, es gäbe zwei Arten von Menschen und die anderen, die es besser wissen“.

Vor langer, langer Zeit, in einem Land südlich von uns, tobte ein erbitterter Krieg: Auf der einen Seite standen die späteren Sieger, auf der anderen die Verlierer. Gewonnen haben diesen Krieg Plato, Aristoteles und der Rest der Kosmologenbande. Die Namen der Verlierer kennt fast keiner mehr: Die Sieger waren für die Kategorisierung, Einteilung und Bestimmung der Dinge. Die unterlegenen Sophisten waren für das Tüchtige oder Tugendhafte.

Ein Kernstück der Psychologie des Fleischessens, des Karnismus, ist es, Kategorien zu entwickeln. Das Grundprinzip lautet: Das sind die einen, und das sind die anderen. Kein Mensch wird mit solchen Kategorien geboren. Sie sind ausnahmslos antrainiert bzw. angelernt. Kein Kleinkind weiß, dass es Lämmer essen soll, aber Hundewelpen nicht, oder dass es hellere Menschen mögen soll und dunklere nicht.

Wenn wir damit beginnen, Dinge einzuordnen, ergeben sich zwangsläufig die Strukturen, die viele heute für selbstverständlich nehmen. Nutztier/Haustier, Meins/Deins, Deutscher/Ausländer und so weiter. „Verdammt sei der erste, der ein Stück Land mit einem Zaun umgab, und sagte: ‚Dies gehört mir‘ und verdammt seien die Leute, die einfältig genug waren, ihm zu glauben.“ Sagte dazu Jean-Jaques Rousseau. Dieses Zitat beschreibt anschaulich, in was für einem Denken wir hier, in dieser Gesellschaft, leben. Wir legitimeren einzig und allein durch unser aller Handeln, das, was sich Besitzverhältnis nennt. Genauso wie durch unser aller Handeln die Besitzverhältnisse von nichtmenschlichen Tieren legitimiert werden.

Der Einsatz für die Rechte der Tiere und gegen Tierversuche richtet sich auch gegen das, was uns alle ungleich macht, allem voran Staaten, Nationen und Unternehmen. Daher sollte sich unser Aktivismus für die Freiheit aller Spezies auch gegen Herrschaftsformen richten, jene Herrschaftsformen, wie sie eben von Staaten, Nationen und Unternehmen ausgeübt werden.

Versetzt man sich in die Situation, in der die nichtmenschlichen Tiere sich befinden, damit meine ich sowohl die Tiere, die in Mastanlagen auf ihren Tod hinsteuern als auch die Tiere, die in Zoos zur Schau gestellt werden und diejenigen, die in den Laboren gequält und ermordet werden, können wir deren Unterdrückung spüren und die Sehnsucht fühlen, wie eine nicht-speziezistische Welt sein könnte.

Freiheit ist unser höchstes Gut. Freiheit ist das, wofür sich unser Streben lohnt. Freiheit ist das, was wir auch für alle nichtmenschlichen Tiere erreichen müssen. Es ist richtig, wenn wir die Pelzindustrie anprangern. Es ist richtig, sich gegen Wildtierhaltung im Zirkus zu wenden, es ist richtig, gegen Tierversuche zu sein und es ist richtig, nichtmenschliche Tiere nicht mehr zu essen. Aber reicht das schon? Hierzu möchte ich drei Punkte aufführen:

  1. Die gesellschaftliche und individuelle Toleranz der alltäglichen Tierausbeutung geht einher mit der Toleranz sozialer Ungleichheit und Diskriminierung. Es gibt jedes Jahr mehr Menschen, die in Armut leben und den Anschluss verlieren, die nicht in den Genuss von umfassender Bildung kommen, weil sie strukturell diskriminiert werden, wie jede PISA Studie immer wieder aufs Neue zeigt. Hier sehen wir schon, dass der Staat versagt in der elementarsten seiner Aufgaben, der sozialen Sicherheit. Stattdessen schützt der Staat Besitzverhältnisse, die essentiell für diejenigen sind, die nichtmenschliche Tiere in ewige Gefangenschaft und Ausbeutung zwängen.
  2. Die gesellschaftliche und individuelle Toleranz der alltäglichen Tierausbeutung geht ebenso einher mit der Toleranz nationaler Ungleichheit und Diskriminierung. Nationen schaffen auf der einen Seite eine Konkurrenz von Staaten, was zur Ausbeutung des Einen durch den Anderen führen kann und häufig auch führt und zusätzlich die Lösung unserer globalen Probleme verhindert. Auf der anderen Seite erzeugen Nationen weitere Kategorien. Jede Nation grenzt sich von anderen Nationen ab und unterteilt die Menschen in Angehörige der einen oder anderen Nation. In Kombination mit dem Staatengebilde folgen durch diese Abgrenzung auch eine Gewährung und insbesondere eine Verwehrung von Rechten für die Angehörigen der jeweiligen Nationen. Hier wird noch klarer, was dies mit dem Thema der Tierrechte zu tun hat. Wenn wir als Angehörige einer Spezies nicht einmal denjenigen unserer Art die gleichen Rechte einräumen, wie soll dies dann umfassend bei der Gewährung von Rechten für nichtmenschliche Tiere geschehen?
  3. Die gesellschaftliche und individuelle Toleranz der alltäglichen Tierausbeutung geht einher mit der Toleranz wirtschaftlicher Ungleichheit und Diskriminierung. Wir brauchen eine Gesellschaft, in der wir füreinander sorgen und unsere Ressourcen fair verteilen. Diese faire Verteilung ist aber schlicht nicht möglich im jetzigen System. In diesem System geht es nicht um das Wohlergehen der Gesellschaft, sondern um die Bereicherung einiger weniger, die mit uns und dem Leid der Tiere Geld verdienen.

Genau diese Ausbeutung ist es, die uns unserer Freiheit beraubt. Dieser dürfen wir uns nicht länger fügen, wenn wir die Befreiung aller Tiere erreichen wollen. Erst, wenn wir verstehen, dass Freiheit nur ohne Klassifizierung, Ausbeutung und Zwang möglich ist, können wir diese Freiheit auch allen nichtmenschlichen Tieren sichern. Daher ist es nötig, sowohl emanzipatorisch für die Rechte von allen Tieren einzutreten als auch uns gleichzeitig gegen die Ursachen dieser Ausbeutung zu wenden.

Diese Entwicklung wollen wir hier zusammen voran bringen. Deshalb möchte ich mich bei allen, die sich heute hier versammelt haben, dafür bedanken, dass jeder von uns seinen ganz eigenen Beitrag zu dieser Entwicklung beiträgt und somit dafür sorgt, dass diese Welt für alle besser und damit artgerechter wird.