Die Scheuche Der Hasenvuss

Hört auf

Die Scheuche und ich erwachten an einem sonnigen Samstagvormittag voller Vorfreude auf einen Tag, an dem wir mal wieder Zeit für unseren üblichen Marktspaziergang und andere Wochenendfreuden hatten. Die erste Tasse Kaffee in der Hand schaute ich vorher noch bei Facebook vorbei, um zu sehen, ob ein Freund schon den gestrigen Gesprächsfaden weitergesponnen hatte. Was das Programm mir allerdings anzeigte, war, dass mein Bruder und mein Patenkind „in Sicherheit sind“. Etwas verwirrt dachte ich mir, schön zu hören, aber warum sind sie es, und was bringt Facebook dazu, mich darüber zu benachrichtigen. Wie der geeignete Leser sich wahrscheinlich schon denken kann, leben beide in Paris, wo am Abend zuvor eine Reihe von Anschlägen über Hundert Todesfälle und viele Verletzte verursacht haben.

„Oh Mann“, dachte ich, „will ich in einer Welt leben, in der ich morgens den Sicherheitsstatus meiner Familie und meiner Freunde überprüfen muss“? Das war natürlich rein rhetorisch gefragt und ich habe mir selber die Antwort verweigert, da sie auf der Hand liegt. Ich will es nicht. Ich war Facebook natürlich sehr dankbar über diese Benachrichtigung und möchte hier sicherlich nicht diese Dienstleistung anprangern, sondern die Dinge, die zu der Bedrohung führen.

Daher meine Bitte an euch aufzuhören. Wer jetzt denkt, er oder sie sei hier nicht gemeint, verkennt die Sachlage oder lebt schon vegan. Zwei Dinge vorab: - Religion und Kultur haben keinen Einfluss auf den sogenannten Terrorismus, der Grund, weshalb bisher kein Schweizer mit Sprengstoff am Leib Menschenmengen aufgesucht hat, um sich darin in die Luft zu jagen, ist, dass es den Schweizern im Großen und Ganzen noch ganz gut geht. Dort, wo es einer Vielzahl an Menschen ökonomisch viel schlechter geht als anderen und die Erfüllung ihrer menschlichen Bedürfnisse seitens der anderen unterdrückt wird, wächst die Bereitschaft, gewaltsam das zu zerstören, was subjektiv als Grund für den ungerechfertigten Status quo gesehen wird. - Es gibt keinen Mangel an Arbeit auf diesem Planeten. Der Irrglaube, es gäbe zu wenig Arbeit, ist weit verbreitet, aber leicht zu widerlegen. Stellen wir uns einfach vor, wie viel Arbeit nötig wäre, wollten wir die Alpen abtragen und zehn Meter weiter nördlich wieder aufbauen. Zum einen wäre das natürlich kein sinnvolles Unterfangen und zum anderen würde das niemand finanzieren, aber wie der Volkswirt Ernst-Ludwig von Thadden sagte: „es ist ein reines Umverteilungsproblem“. Die Ausbeuter haben fast alles und die Ausgebeuteten den Rest.

Das Grundproblem hinter den jüngsten Anschlägen von Paris, der miserablen Lage der meisten Menschen auf unserem Planeten und dessen missliche Situation selbst, ist die Ausbeutung. Ausbeutung ist aufgrund des inhärentes Drucks zur Effizienzsteigerung innerhalb der freien Marktwirtschaft eine unweigerliche Konsequenz und wird in der Ökonomie als die „Equality-Efficiency Trade-off Curve“ (nach Arthur M. Okun) bezeichnet, und kein ernsthafter Volkswirt zweifelt diesen Sachverhalt an.

Dann schauen wir uns doch mal das größte Marktsegment an. Der weltweite größte Umsatz wird überraschenderweise nicht in der petrochemischen oder der Schwermetallindustrie, sondern in der fleisch- und milchverarbeitenden Industrie erzielt. Dieses Marktsegment ist auch für den weltweit größten Ausstoß an Treibhausgasen verantwortlich. (Der zweitgrößte Produzent von CO2 auf der Erde ist übrigens die Rüstungsindustrie mit dem Militär.) Natürlich haben alle Recht, die sich für den Kauf regionaler Produkte stark machen; auch die, die für Fahrradfahren und den Ausbau der öffentlichen Verkehrsmittel sind; auch die, die sich gegen die Produktion von Palmöl stark machen. „Alle haben ja so recht“, sagte schon Kurt Tucholsky, aber um das Problem endlich an der Wurzel zu packen, sollten wir den größten Elefanten im Zimmer nicht übersehen.

Das schöne dabei: Ihr müsst nichts tun, keiner verlangt von euch, auf die Straße zu gehen oder sonst irgendetwas zu machen. Ihr müsst nur aufhören. Also, bitte, bitte, bitte, hört auf. Damit ich morgens nicht den Sicherheitsstatus meiner Familie und Freunde überprüfen muss, und damit alle Menschen und Tiere auf diesem Planeten anständig leben können und keiner mehr andere in die Luft jagt oder verspeist.