Der Hasenvuss

Unter Wilden1

Die Scheuche und ich hatten fast keine Wahl. Nachdem die Einladung unseres Admirals zu seinem runden Geburtstag seit Monaten um Antwort heischte, mussten wir letztendlich „Aye“ sagen und die Segel hissen. So kam es zu unserer gestrigen ethnographischen Fahrt in eine – für uns – vergangene Welt. In den Jahren des mordfreien Lebens und des Einsatzes für den Schutz allen Lebens haben wir uns mehr und mehr mit zivilisierten Artgenossen umgeben und kaum noch Kontakt zu den exotischen Fleischfressern der speziezistischen Gefilde gepflegt.

Es ist immer kulturell schockierend, auf die Überreste primitiver Lebensweisen zu stoßen, besonders aber wenn zivilisiertes Verhalten für einen selbst normal geworden ist und das letzte große rituale Fest - der lokale vegane Tanz in den Mai – ein mordfreies und vergnügliches Schmausen erster Güte war. Gerade die äußerliche Ähnlichkeit der Kulturen schärft hierbei den Kontrast. Der runde Geburtstag und der Tanz in den Mai fanden an passenden Orten statt wo Jung und Alt zusammen schlemmten, tanzten und feierten …

… und doch war es für uns eine Reise in die Vorzeit.

Äußerlich sehen die ersten unserer Art – also im wörtlichen Sinne „die Primitiven“ – nicht sehr verschieden von uns aus. Sie sind unserer Sprache mächtig und verhalten sich oberflächlich gesehen untereinander durchaus sozial. Ihre kognitiven und ethischen Fähigkeiten sollten folglich nicht unterschätzt werden. Sie können nachdenken und richtig handeln, aber sie tun es nicht. Gerade bei dieser Feier waren dutzende Gelehrte präsent, welchen man die Fähigkeit zum logischen Denken eigentlich unterstellen möchte, doch sieht man sie vor Ort wie sie das Fleisch von sieben verschiedenen Tierarten verschlingen und dabei öffentlich deren Knochen abnagen, möchte man daran (ver)zweifeln.

Neben dem Ekel und der olfaktorischen Belästigung war es für uns schon fast faszinierend, dass es solch ein primitives Verhalten noch gibt. Wir sind es einfach nicht mehr gewöhnt. Lange ist es her, dass wir mit den Fleischfressern Zeit verbracht haben.

Es ist einfach, dieses kulturlose Verhalten als abscheulich zu bezeichnen, doch sind diese kauenden Täter selber Opfer einer tiefen Bewusstseinsspaltung. Sie leiden jeder für sich an dem nach ihrer Entdeckerin benannten „Joy’schem Syndrom“. Aber sieht man sie in größeren Mengen wird einem gewahr, dass Sie ein lebender Teil einer noch nicht vergangenen Welt sind. Zum Glück hat unser Schiff, die Eigenart sich um Mitternacht in einen Kürbis zu verwandeln und so mussten wir bald den Anker lichten und zurück in unsere Heimat reisen.


1 Aus dem Tagebuch des Captain Cook Anno 2015.


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